Werden unfruchtbare Reben hochgebunden?

Quelle: https://escapetoreality.org/2018/05/02/are-unfruitful-branches-lifted-up/


Wie soll man Johannes 15,2 lesen?

Hier ist der möglicherweise schlimmste Vers der Bibel:

Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab …
Johannes 15,1-2; Einheitsübersetzung, 2016

Ich sage »schlimmster Vers«, weil dies eine sehr schlechte Übersetzung ist, die die Bedeutung des ursprünglichen griechischen Wortes verändert. Eine bessere Übersetzung ist: „… hebt er auf“ oder „… erhebt er“ oder „… richtet er auf.“1

Wenn du keine Frucht für Jesus bringst, hilft dir Gott. Er lässt dich nicht fallen.

Vor einigen Jahren schrieb ich einen Artikel mit dem Titel »Was passiert mit unfruchtbaren Reben?« Darin argumentierte ich, dass die meisten Bibeln falsch liegen, wenn sie Jesus Worte  mit »abschneiden« oder »wegnehmen« übersetzen. Aufheben ist besser. (Um ehrlich zu sein: Ich wurde von einem Buch von Bruce Wilkinson inspiriert mit dem Titel »Das Geheimnis des Weinstocks: Durchbruch zu einem Leben, das reiche Früchte trägt«.)

Ich hatte diesen Artikel geschrieben und mich anderen Themen zugewandt. Aber es stellte sich heraus, dass die Frage »abschneiden oder hochheben« zu einem heißen Eisen geworden ist. Mir war das nicht bewusst, bis mir jemand diesen Satz aus einem Buch schickte: „Keine Veröffentlichung von »Free Grace« brachte irgendwelche Beweise aus der Antike vor, die besagten, dass unfruchtbare Rebstöcke oder Reben ‚hochgehoben‘ wurden.“

Ich war fasziniert. Ihr wollt Beweise? Ich habe genug davon.

Ein bisschen tieferes Forschen ergab, dass dieses Thema die Gelehrten in zwei Lager spaltet: die Schneider und die Heber. Das klingt nach etwas aus dem Buch »Gullivers Reisen«.

Ich habe kein Interesse daran, Zwietracht zu schüren, aber ich dachte, dies wäre eine gute Gelegenheit, einige der Fragen zu beantworten, die mir zu diesem alten Artikel gestellt wurden.

1. Welche Bibel sagt »hob er hoch«?

Keine der maßgeblichen Übersetzungen sagt es. Fast jede Bibel übersetzt Jesus Aussage in dem Sinn, dass unfruchtbare Reben abgeschnitten oder entfernt werden. Das ist deshalb ein großes Problem, weil es den Leuten nicht gefällt, wenn man sagt, die Bibel sei falsch.

Nur, die Bibel ist NICHT falsch. Die ersten Bibelübersetzer entschieden sich aber für die falschen Worte.

(John Wyclif wird zugeschrieben, die erste vollständige englische Bibel im 14. Jahrhundert übersetzt zu haben. Grundlage war die lateinische Vulgata. Martin Luther – er war nicht der Erste, der die Bibel ins Deutsche übersetzte – hatte bis 1534 seine Bibelübersetzung aus dem Hebräischen und Griechischen vollendet. Viele Bibelübersetzer bauen auf diesen Übersetzungen auf.)

Keine Bibelübersetzung stimmt mit mir überein, aber ich bleibe bei meiner Meinung: Jesus sagte: „Unfruchtbare Reben an mir werden aufgerichtet, nicht abgeschnitten.“ Sie werden emporgehoben, nicht weggenommen. (Aktualisierung: Mehrere Leser haben darauf hingewiesen, dass in der jüngsten Ausgabe von »The Passion Translation« steht: „Er kümmert sich um die mit mir verbundenen Reben, indem er die fruchtlosen Reben hebt und stützt, …“ Das ist wenigstens ein Anfang.)

2. Wie kannst du es wagen, eine Hunderte von Jahren gleichbleibende Übersetzung in Frage zu stellen?

Ich gehöre zur Generation, die alles in Frage stellt, daher verstehe ich nicht, worum es bei der Aufregung geht. Ich ermutige jeden, selbst zu denken. Es ist gesund.

3. Im Ernst, bist du ein qualifizierter Bibelübersetzer?

Nein. Ich kenne keine anderen griechischen Wörter außer Agape und Souvlaki. Aber ich weiß, wie man mit einer Konkordanz umgeht.

Das zur Diskussion stehende Wort ist »airo«. Dieses Wort wurde in Johannes 15,2 mit „abschneiden“ oder „wegnehmen“ übersetzt. Aber sieh dir an, wie dieses Wort an anderen Stellen im Neuen Testament übersetzt wird:

  • Markus 16,18 – Schlangen werden sie mit bloßen Händen aufheben,…
  • Lukas 5,24 – Ich sage dir: Steh auf, nimm dein Bett und geh …
  • Lukas 17,13 – Und sie erhoben ihre Stimme und sprachen: …
  • Johannes 5,8 – Da sagte Jesus zu ihm: »Steh auf, nimm deine Matte und geh!«
  • Johannes 11,41 – Jesus aber hob seine Augen auf und sprach: …
  • Apostelgeschichte 4,24 – Als sie das hörten, erhoben sie einmütig ihre Stimme zu Gott …
  • Offenbarung 10,5 – Und der Engel, … hob seine rechte Hand auf zum Himmel

Im Neuen Testament wird »airo« häufiger mit »aufheben/aufnehmenn« als mit »abschneiden« übersetzt.

4. Welche Übersetzung unterstützt der Textzusammenhang?

In Johannes 15 spricht Jesus von zwei Arten von Reben; diejenigen, die in ihm bleiben (Vers 2), und diejenigen, die es nicht tun (Vers 6), und die Letzteren werden verworfen. Wenn auch die Ersteren manchmal verworfen würden, macht das »Bleiben in ihm« keinen Unterschied und der Vergleich scheitert.

In Vers 2 vergleicht Jesus fruchtbare und unfruchtbare Reben und sagt: „Jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er.“ Reinigen bedeutet »stutzen« oder »beschneiden«, »säubern durch Entfernung des überflüssigen Holzes«. Wenn sowohl an fruchtbaren als auch unfruchtbaren Reben geschnitten wird, macht das Tragen von Früchten keinen Unterschied und der Vergleich bricht erneut zusammen.

Wenn also unfruchtbare Reben anders behandelt werden, können sie nicht abgeschnitten oder weggeworfen werden. Die einzige Möglichkeit besteht darin, sie hochzubinden. Und das ist es, was Winzer tatsächlich tun.

5. Bist du ausgebildeter Winzer?

Nein, aber der Wikipedia-Eintrag für Rebenerziehung informiert mich darüber, dass Weinreben keine Frucht tragen, wenn sie kein Sonnenlicht abbekommen. Wenn man die Reben nicht »erzieht«/»unterstützt«, wird eine übermäßige Beschattung die Fruchtproduktion hemmen und Krankheiten begünstigen.

Dasselbe gilt auch für Christen. Wir müssen den Sohn sehen, um gesund zu bleiben und seine Frucht hervorzubringen.

6. Gibt es Hinweise darauf, dass die frühen Weingärtner Reben hochbanden?

Ja, die gibt es. Der Wikipedia-Artikel sagt Folgendes:

Als die Griechen im 8. Jahrhundert v. Chr. begannen, Süditalien zu kolonisieren, nannten sie das Land »Oenotria«, was als »angepflockt« oder als »Land mit Pfahlreben« interpretiert werden könnte. (https.//en.wikipedia.org/wiki/Vine_training)

Die Pfahlkultur oder das Hochbinden von Weinreben ist eine uralte Praxis. „Weinreben werden seit mehreren Jahrtausenden gezogen.“ Die Geschichte des Weinbaus ist tatsächlich die Geschichte der Zivilisation.

7. Ich kann Wikipedia nicht als glaubwürdige Quelle akzeptieren. Hast du konkrete Beweise?

Eigentlich ziemlich viel und viel zu viel, um es in einen Blogartikel zu packen. Für Interessierte gibt es einen ausführlichen Begleitkommentar zu diesem Artikel auf meiner Patreon-Seite.

In der Abhandlung untersuche ich die Schriften von Varro (116 – 27 v. Chr.), Columella (4 – 70 n. Chr.), Plinius dem Älteren (23 – 79 n. Chr.) und anderen antiken Gelehrten. Diese Autoren diskutieren diese wunderbare Innovation, das Spalier. Mit den Worten von Plinius: „Wenn das Spalier eingesetzt wird, wird Wein in größeren Mengen produziert.“

Weinreben bilden von sich aus kein Spalier. Ein Spalier bedeutet, dass ein Winzer darauf achtet, Reben hoch zu binden und ihnen Halt zu geben. Der Winzer erledigt die ganze Arbeit und die Reben werden dadurch fruchtbar. Was für ein wunderschönes Bild davon, wie Gott uns hilft und uns durch seine Gnade aufrichtet.

8. Plinius lebte in Rom. Gibt es Hinweise darauf, dass im Israel des ersten Jahrhunderts Spaliere verwendet wurden?

Ja, schaue dir bitte das Bonusmaterial an (auf Patreon), das zu diesem Artikel passt.

9. Was würden Winzer verwenden, wenn sie kein Spalier hätten?

Einen Felsen oder einen Baum. Tatsächlich wurden Weinanpflanzungen vor der Erfindung des Spaliers oft so angelegt, dass sie an Baumstämmen und Ästen empor rankten.

10. Was ist mit dem Vers, in dem es heißt: „Jeder Baum, der keine Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen?“

Jesus ist der Baum, der viele Früchte bringt, aber Jesus spricht in Johannes 15 nicht von Bäumen. Das Thema sind Weinreben.

Das charakteristische Merkmal von Weinstöcken ist, dass die Verbindung zwischen Weinstock und Reben enger ist (im Unterschied zu einem Baum). Bei uns und Jesus ist es genauso.

Wenn Jesus uns abschneiden und wegwerfen würde, würde er seinen eigenen Körper zerstückeln. Das wird nicht passieren. Selbst „wenn wir untreu sind, bleibt er doch treu, denn er kann sich selbst nicht verleugnen.“ (2. Timotheus 2,13).

11. Was ist mit Johannes 15,6, wo davon die Rede ist, dass Reben ins Feuer geworfen werden?

Johannes 15,1-6 spricht von zwei Arten von Reben – diejenigen, die im Herrn bleiben oder sich dort niedergelassen haben (Glaubende, siehe 1. Johannes 4,15) – und diejenigen, die ihre Heimat nicht im Herrn gefunden haben (Ungläubige). Nur die erste Art, die »Reben in mir«, können die Frucht des Herrn tragen, und hier sprechen wir darüber, was passiert, wenn sie es nicht tun. (Sie werden angehoben oder hochgebunden.)

12. Verbreitest du nicht eine gefährliche Irrlehre?

Indem ich den Menschen erzählen, dass Jesus uns hilft, seine Frucht zu bringen? Ich kann nicht erkennen, dass das nur annähernd so gefährlich ist, wie Christen mit »Abschneiden« oder »Verwerfen« zu drohen, wenn sie ihre Pflichten nicht erfüllen. Jesus Braut einzuschüchtern, scheint mir nicht klug zu sein.

Und zum Abschluss noch eine Frage von mir: Was passiert mit den unfruchtbaren Zweigen, wenn sie nicht hochgehoben werden?

Im Laufe der Jahre habe ich von Leuten Aussagen gehört, die die Übersetzung »abschneiden« oder »wegnehmen« bevorzugen, aber bisher hat mir niemand gesagt, was abschneiden/wegnehmen für den unfruchtbaren Christen tatsächlich bedeutet. Es kann nicht heißen, dass man sie beschneidet, weil das bei fruchttragenden Reben angewandt wird. Es kann auch nicht bedeuten, weggeworfen und verbrannt zu werden, denn das passiert denen, die gar nicht erst Teil des Weinstocks sind.

Was bedeutet es also, eine unfruchtbare Rebe wegzunehmen? Niemand kann offensichtlich darauf eine Antwort geben.

Aber eines wissen wir. Lies Johannes 15,2 als: „Gott verstößt unfruchtbare Christen und lässt sie verbrennen“, und du musst über 130 Schriftstellen ausmustern, die ganz klar sagen, dass er das nicht tun wird.

Aus diesem Grund behaupte ich, dass unfruchtbare Christen gefördert und nicht verworfen werden; sie werden erhöht, nicht abgeschnitten.

„Eine Rebe kann nicht aus sich selbst heraus Frucht bringen;“ (Johannes 15,4). Wir alle brauchen die Hilfe des Herrn, wenn es darum geht, seine Frucht zu bringen.


  1.  airo – Wörterbuch zum Neuen Testament, Walter Bauer, Verlag Alfred Töpelmann, Berlin, 1963 ↩︎


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